In einem viel beachteten Urteil entschied der Bundesgerichtshof (Urt. v. 21. 5. 2019 – VI ZR 299/17), dass Angehörige von Patienten, die einen Behandlungsfehler erleiden, unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf ein eigenes Schmerzensgeld haben.
Im Fall des BGH war es so, dass ein Patient bei einer Darmspiegelung am Darm verletzt wurde. Die Ärzte erkannten die Verletzung jedoch erst Tage später und regierten unzureichend. Der Patient schwebte aufgrund einer schweren Entzündung mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr, weshalb seine Ehefrau massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitt. Die Ehefrau wollte für ihre psychischen Beschwerden nun Schmerzensgeld.
Juristisch hat ein Angehöriger nur in sehr selten Fällen einen Anspruch auf ein eigenes Schmerzensgeld, dieses wurde bisher unter dem Begriff des „Schockschadens“ zusammengefasst. Bislang war es so, dass Angehörige, die den Tod eines nahen Angehörigen miterleben mussten oder die Nachricht vom plötzlichen Tod eines Angehörigen erfuhren, dann selbst Schmerzensgeld verlangen konnten, wenn sie psychische Beeinträchtigungen erlitten haben, die pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Somit fallen unter diese „Schockschäden“ nur solche psychischen Beeinträchtigungen, die über das „normale Maß“ von Trauer hinausgingen und zu konkreten psychischen Beschwerden führen.
Ein Beispiel: In einem Urteil (BGH, Urteil vom 27.1.2015 – VI ZR 548/12) sprach der BGH einem Ehemann Schmerzensgeld zu, weil dieser den Unfalltod seiner Ehefrau miterleben musste. Ehemann und Ehefrau waren auf Motorrädern unterwegs gewesen und fuhren hintereinander, als die Ehefrau von einem entgegenkommenden Pkw erfasst wurde. Der Fahrer war stark alkoholisiert und überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast 60 km/h. Verständlicherweise war der Ehemann vom Unfalltod seiner Ehefrau tief getroffen und konnte seinen Beruf als Lkw-Fahrer nicht mehr ausführen, er zog zudem aus der ehelichen Wohnung aus und litt unter schweren psychischen Problemen.
Der Bundesgerichtshof sieht bei dem Schmerz des Ehemanns, der seine Ehefrau bei einem Verkehrsunfall hat sterben sehen und der Ehefrau die ihren Ehemann in einem Krankenhaus mit dem Leben hat kämpfen sehen, durchaus Parallelen. Bezogen auf die Ansprüche nach einem Behandlungsfehler führte der BGH aus: „Es ist kein Grund erkennbar, denjenigen, der eine (psychische) Gesundheitsverletzung (…) infolge einer behandlungsfehlerbedingten Schädigung eines Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, den die (psychische) Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.“ (BGH, Urt. v. 21. 5. 2019 – VI ZR 299/17)
Der große Unterschied zwischen beiden Fällen ist sicherlich, dass niemand gesund zum Arzt geht und bei jeder Behandlung mit Komplikationen gerechnet werden muss. Dieses allgemeine Lebensrisiko kennt auch jeder Angehörige und muss damit rechnen, dass der Patient nach der Behandlung vermehrte Beschwerden hat und Komplikationen auftreten können. Ein Angehöriger kann daher nur dann selbst Schmerzensgeld verlangen, wenn ein Behandlungsfehler zu einem erheblichen Schaden bei Patienten geführt hat und er durch das (Mit-)Erleben dieser Schäden selbst psychische Beeinträchtigungen erleidet. Die Hürden sind grundsätzlich höher als beim (Mit-)Erleben eines Unfalls eines nahen Angehörigen.